Motorräder stehen hierzulande in Verruf – zu laut, zu dreckig. Seit Jahren kämpft die Branche gegen ihr schlechtes Image. Helfen könnten der Industrie elektrisch angetriebene Modelle. Sie sind deutlich leiser als Verbrenner und stoßen lokal keine Abgase aus.Trotz der Vorteile sind Akkumotorräder in Deutschland aber eine kaum wahrnehmbare Nische. Gerade einmal 1606 Stück wurden im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik verkauft. In Relation zum Gesamtabsatz von mehr als 143.000 Krafträdern und Leichtkrafträdern liegt der Anteil der Stromfabrikate bei lediglich einem Prozent. Und daran dürfte sich so schnell auch nichts Gravierendes ändern.„Es gibt keinen Tesla der Motorradindustrie“, konstatiert Helfried Sorger, Technikchef des Powertrain-Bereichs bei Pierer Mobility, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der Manager verantwortet die Antriebsentwicklung bei renommierten Marken wie KTM, Husqvarna oder Gasgas und hält Zweiräder mit großen Hubräumen batterieelektrisch für „kaum darstellbar“.
Das liegt laut Sorger vor allem an den enorm schweren Energiespeichern, die Motorradhersteller in ihre Modelle integrieren müssten, um ähnliche Reichweiten und Leistungsdaten wie mit Verbrennungsmotoren zu erzielen. „Unsere KTM Super Adventure, eine Reise-Enduro, hat heute ein Gesamtgewicht von 238 Kilogramm. Mit einem elektrischen Antrieb wären wir dann bei über 400 Kilogramm“, erklärt der Ingenieur.
So ein schwergewichtiges Fahrzeug ließe sich allerdings nicht mehr dynamisch bewegen, meint Sorger. „Es würde keinen Spaß machen, und auch in puncto Sicherheit wäre das eine riesige Herausforderung.“ Vom Antiblockiersystem bis zur Traktionskontrolle müssten alle sicherheitsrelevanten Systeme neu entwickelt und dimensioniert werden. „Das ergibt keinen Sinn.“ Ein Motorrad müsse ein Motorrad bleiben.
Sorger schwört vor allem bei größeren Maschinen über 250 Kubikzentimeter Hubraum weiter auf den Verbrenner. Statt Benzin will der Österreicher hier in Zukunft verstärkt synthetische Kraftstoffe tanken, um den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid zu minimieren.
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Bei kleineren Motorradklassen hätten dagegen auch Strommodelle eine echte Existenzberichtigung. „Hier sind wir sehr aktiv“, sagt Sorger. Allein Pierer Mobility will bis 2024 drei elektrische Plattformen für Fahrzeuge der Einstiegsklasse auf den Markt bringen, die teils auch ohne Motorradführerschein bewegt werden dürfen.
Ähnlich positioniert sich der deutsche Marktführer BMW. „Wir glauben ganz klar auch für die Zukunft an die Koexistenz von Elektro und Verbrenner im Motorrad“, heißt es bei dem Münchener Dax-Konzern. In Städten und großen Ballungsräumen würden sich Stromfabrikate auf kurzen Strecken schnell durchsetzen.
Verkäufe von E-Rollern verdreifacht
Tatsächlich konnte BMW im vergangenen Jahr mit dem neuen Elektroroller CE 04 bereits einen respektablen Erfolg erzielen. Das luxuriöse Zweirad mit einer maximalen Reichweite von 135 Kilometern zu einem Basispreis von 13.000 Euro wurde aus dem Stand 5000 Mal verkauft. BMW verspricht nun, alle 18 bis 24 Monate ein neues Elektrogefährt für den urbanen Raum auf den Markt zu bringen.
Die Nachfrage ist anscheinend vorhanden. In den Zulassungszahlen für Kraftroller und Leichtkraftroller lässt sich hierzulande ein immer deutlicherer Elektrotrend erkennen. Demnach ist der Absatz von Akkurollern seit 2018 von mickrigen 135 Stück auf zuletzt mehr als 8000 Einheiten angestiegen. Allein im vergangenen Jahr haben sich die Verkäufe nahezu verdreifacht. Der Elektroanteil bei den Neuzulassungen von Rollern liegt mittlerweile bei rund 15 Prozent.
Elektro-Scooter sind gefragt
Bei elektrischen Rollern wie dem Ray 77 lässt sich die Batterie leichter verbauen.
Generell gilt: Je kleiner und leistungsärmer die Fahrzeuge, desto eher stehen sie unter Strom. Bei leichten Scootern wird bereits jedes fünfte neu zugelassene Fahrzeug elektrisch angetrieben. Und in der Kategorie der Mopeds mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde beträgt der Elektroanteil schon fast 30 Prozent.
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„Elektroroller werden weiter boomen“, prognostiziert der Marktforscher und Marketingexperte Werner Hagstotz. „Bei Motorrädern dürfte der Verbrenner hingegen noch über Jahre hinaus sehr dominant bleiben, wenn er nicht von der Politik verboten wird.“ Die Zweiteilung des Marktes – hier boomende E-Scooter, dort floppende Elektromotorräder – lässt sich laut Hagstotz unter anderem mit der unterschiedlichen Nutzung der Fahrzeugtypen erklären.
Elektrische Roller würden vorwiegend als Zweitgefährt für das Pendeln zur Arbeit genutzt, beobachtet Hagstotz. „Im urbanen Bereich sind Roller ideal, um flott von Ampel zu Ampel zu springen und sich an den Autos vorbeizuschlängeln. Dafür benötigt man keine große Reichweite.“
Aerodynamischer Nachteil
Schwere Motorräder werden dagegen kaum in der Stadt gefahren und auch auf der Autobahn allenfalls zur Anreise für größere Touren. „Sie sind eher ein Hobbysportgerät als ein Transportmittel“, sagt Mobilitätsexperte Hagstotz. „Wer Motorrad fährt, sehnt sich nach kurvigen Landstraßen. Hier ist eine passable Reichweite ein viel wichtigeres Thema als bei Rollern.“
Das Problem: Während Elektroautos ihre Reichweite einerseits über große Batterien und andererseits über besonders windschlüpfige Fahrzeugkonstruktionen steigern können, haben Motorräder hier viel weniger Spielraum. Der Platz, um Akkupakete unterzubringen, ist begrenzt. Hinzu kommt, dass Zweiräder keine geschlossene Karosserie haben; die Räder drehen frei. Aerodynamisch ist das ein Nachteil. Zumal die Passagiere anders als beim Auto nicht drinnen, sondern draußen sitzen.
„Dadurch ergeben sich ganz andere Luftströme, die sich wiederum auf den Verbrauch und die Reichweite auswirken können“, erklärt Reiner Brendicke, Hauptgeschäftsführer des Industrie-Verbands Motorrad Deutschland (IVM). Jedes Kilo an Zusatzgewicht durch größere Batterien sei aber heikel. Und Ladestationen im ländlichen Raum, gerade entlang schöner Strecken um Gebirgspässe und Seen, sind noch schwerer zu finden als in der Stadt.
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Brendicke therefore assumes that battery-electric drives will take much longer to establish themselves in motorcycles than in cars. “The modern combustion engine is very popular and has a practical use.” Nevertheless, there are a number of companies that have specialized in battery-electric two-wheelers.
RGNT No.1
The Swedish manufacturer shows its electric model.
The best-known provider is Zero Motorcycles. Since its founding in 2006, the Californian company has sold over 20,000 vehicles. The focus is on the premium sector. With its e-bikes, Zero promises instant power, little to no maintenance, a range of up to 360 kilometers and a charging time of just one hour. That has its price. With increased charging power, the company’s top model, the Zero SR/S, costs more than 30,000 euros.
Expensive battery cells
Today, fully electric motorcycles are often twice as expensive as petrol ones. The reason: The classic lithium-ion battery cells from major suppliers such as CATL, LG or Samsung – as used by car manufacturers – are only suitable to a limited extent for use in two-wheelers.
The motorcycle industry works primarily with so-called power cells instead of conventional energy cells, explains KTM engineer Helfried Sorger. In terms of application, these are most comparable to batteries in power tools such as drills, which use high charging and discharging currents. However, power cells are per se “significantly more expensive” than energy cells, says Sorger.
The synergies within the company’s own vehicle portfolio are also limited. You can’t just take the combustion engine out of an existing model and replace it with an electric motor. Entirely new, tailor-made solutions are needed, says Sorger. One result: “Unfortunately, the earnings situation for electric motorcycles is not yet great.”
Motorcycle manufacturers usually generate the highest profit margins with large machines. They make up almost 54 percent of new registrations for motorized two-wheelers in Germany. In order to be able to hold on to their combustion cash cow for as long as possible, the industry is promoting the use of synthetic fuels.
“Especially for the existing fleet, e-fuels make a lot of sense,” emphasizes IVM Managing Director Brendicke. If the fuel is produced using green energies, petrol engines can theoretically be operated in a climate-neutral manner. But the strategy carries risks. “Where is the electricity for this supposed to come from in Germany?” asks mobility expert Werner Hagstotz. Importing e-fuels from windy countries like Chile would incur high additional costs. “It will take a long time before this pays off.”
Chinese on the rise
In contrast to electric cars, the EU has so far not provided for a de facto ban on combustion engines for motorcycles in the coming decade. But that could change. Regulations and technical developments from the passenger car world usually spill over into the motorcycle industry with a time lag of five to seven years. Established two-wheeler manufacturers should therefore not take too long to equip their fleets with battery-electric drives.
As in the car industry, numerous Chinese suppliers will also try to gain a foothold in Europe by offering premium versions of their electrically powered motorcycles, predicts industry insider Hagstotz. Western brands such as BMW, KTM or Harley Davidson are still benefiting from their good image. “But the Chinese are catching up.”
The four Japanese volume manufacturers Honda, Yamaha, Suzuki and Kawasaki could come under pressure as a first step. China is the largest two-wheeler market in the world. In the Far East there are more than 200 different providers such as Lifan, Hajoue, Zonhshen or Loncin. And when it comes to electric drives, the Chinese have been active much longer than Western brands, and not just in the passenger car sector.
When it comes to battery powered motorcycles, the cards are being reshuffled. Fears of relegation germinate. According to industry circles, there is a serious risk that individual suppliers from China could soon overtake their Western competitors technologically. “Then it gets uncomfortable.”
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