Auf dem Markt für elektrische Ladenetze in den USA verschieben sich die Gewichte rasant. Fast täglich gibt es neue Ankündigungen: Am Donnerstag erklärte Electrify America, das zum Volkswagen-Konzern gehört, Stecker für Teslas Ladestandard NACS bis 2025 auch in seinem Netzwerk in den USA und Kanada anzubieten. Der wichtigste konkurrierende Standard CCS solle daneben weiter unterstützt werden. Tesla-Fahrer können damit in Zukunft auch an den Electrify-America-Stationen laden – und folglich auf das mit Abstand größte Ladeangebot in Nordamerika zurückgreifen. Ist eine weitreichendere Kooperation von VW mit Tesla denkbar, die wiederum auch VW-Fahrern das Tesla-Ladenetzwerk zugänglich machen würde? Das Handelsblatt hatte über entsprechende Überlegungen bereits am Mittwoch berichtet. Am Donnerstag erklärte VW, derzeit die „Implementierung“ von Teslas Technologie in seinen Autos zu prüfen.
Nach Handelsblatt-Informationen ist diese Prüfung weit gediehen. Demnach sprechen VW und Tesla bereits über einen Einbau des Tesla-Steckers in VW-Fahrzeuge und eine damit mögliche Öffnung des Tesla-Ladenetzes für VW-Kunden.
Dabei geht es laut Konzernkreisen zunächst um den nordamerikanischen Markt. Denkbar sei jedoch auch, den Tesla-Standard in anderen Märkten zu übernehmen, heißt es. Wie die Übernahme des Tesla-Standards genau ablaufen soll, ist demnach noch offen.
Ein VW-Sprecher wollte die Informationen auf Anfrage nicht kommentieren.
Volvo, Ford, GM und Rivian setzen auf Teslas Supercharger
Erst am Dienstag hatte der schwedische Pkw-Hersteller Volvo erklärt, einen Zugang zu Teslas Ladenetz in Amerika, den sogenannten Supercharger-Stationen, zu erhalten. Volvo-Fahrer können aufgrund der Vereinbarung zwischen den beiden Autoherstellern ab kommendem Jahr rund 12.000 Tesla-Ladesäulen in den USA, Kanada und Mexiko nutzen. Volvo hat zudem als erster europäischer Automobilhersteller Teslas nordamerikanischen Ladestandard übernommen.
In den vergangenen Wochen hatten bereits die Traditionshersteller Ford und General Motors sowie das Pick-up-Start-up Rivian ähnliche Vereinbarungen mit Tesla geschlossen. Hyundai und die Chrysler-Muttergesellschaft Stellantis ziehen laut eigener Aussage einen ähnlichen Schritt in Erwägung.
Für Tesla-Chef Elon Musk ist der Run auf sein Supercharger-Netzwerk ein Erfolg. Tesla, das zuletzt mit schwächelnden Absatzzahlen kämpfte, kann die zusätzlichen Einnahmen gut gebrauchen.
In Nordamerika hat sich der Konzern als Elektropionier eine einzigartige Position auf dem Lademarkt erarbeitet. Nach Angaben des US-Energieministeriums machen Teslas Supercharger rund 60 Prozent aller US-Schnellladestationen aus.
„Auf unserem Weg, bis 2030 vollelektrisch zu fahren, wollen wir das Leben mit einem Elektroauto so einfach wie möglich machen“, erklärte Volvo-Cars-Chef Jim Rowan. „Der fehlende Zugang zu einer einfachen und bequemen Ladeinfrastruktur“ sei ein „Haupthindernis“ beim Umstieg auf die E-Mobilität. Dank Tesla beseitige man diese Hürde nun in Nordamerika.
Tesla hat das „beste Ladenetzwerk in der Industrie“
Marktbeobachter sehen Tesla durch die Ankündigungen gestärkt. „Die Umfragen zeigen klar, dass für potenzielle Käufer von Elektrofahrzeugen neben der ,Reichweitenangst‘ die ,Ladeangst‘ das größte Kaufhindernis ist“, erklärt Christian Koenig. Der Autoexperte hat für Porsche in Nordamerika gearbeitet und führt in Atlanta eine Beratung für Elektromobilität.
Eine Studie des Analysehauses J.D. Power belegt, dass jeder fünfte Amerikaner zuletzt sein Fahrzeug aufgrund von technischen Defekten an öffentlichen Ladestationen nicht laden konnte. Das zeige die Herausforderung, so Koenig, die Ford, GM, Rivian und jetzt auch Volvo erkannt hätten. „Sie setzen deshalb auf Tesla und das mit weitem Abstand beste Ladenetzwerk in der Industrie.“ Dieses setze in Sachen Schnelligkeit, Effizienz und Sicherheit Standards.
Für die Autohersteller, die nicht Teil der Allianz sind, werde das zum Problem, so Koenig. „Auf viele Ladeanbieter wie etwa Electrify America kann man sich zurzeit noch nicht verlassen.“ Hier seien häufig Ladekabel kaputt, das Bezahlen funktioniere nicht, Stationen seien nicht auffindbar oder die Ladegeschwindigkeit sei deutlich langsamer als angegeben.
Chargepoint und Co.: Ladeanbieter unter Druck
Electrify America wurde ab 2017 von VW aufgebaut. Im Zuge des Dieselskandals war VW dazu verpflichtet worden, zwei Milliarden Dollar zu investieren. Heute betreibt Electrify America 3.500 Ladesäulen, rund ein Viertel so viele wie Tesla.
Angesichts des Siegeszugs des Supercharger-Netzwerks drohen Kunden mit VW-Autos ins Hintertreffen zu geraten – sie können schlicht an weniger Standorten laden.
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Auch Mercedes-Benz muss sich fragen lassen, wie man den Elektroauto-Kunden in den USA künftig attraktive Ladeangebote machen will. „Die Weichen bei Mercedes-Benz sind für eine vollelektrische Zukunft gestellt“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Mercedes-Benz plane, bis Ende des Jahrzehnts mehr als 10.000 eigene Ladesäulen in Nordamerika, Europa, China und weiteren Kernmärkten zu errichten. Diese „werden für Elektrofahrzeuge aller Marken zugänglich sein“.
In Nordamerika setzt Mercedes-Benz auf den Partner Chargepoint. Zu möglichen Überlegungen hinsichtlich neuer Partnerschaften, etwa mit Tesla, will sich der Konzern auf Anfrage nicht äußern.
Unabhängige Ladeplattformen wie EVgo oder eben Chargepoint sind laut Branchenbeobachtern nun ebenfalls unter Druck. Ihre Aktien brachen nach den Tesla-Ankündigungen ein.
Nordamerikanischer Ladestandard auf dem Vormarsch
Klar ist, dass sich mit dem Siegeszug des Supercharger-Netzwerks auch der Tesla-Ladestandard NACS immer mehr durchsetzt. Der konkurrierende CCS-Standard gerät in Nordamerika ins Hintertreffen. Letzterer war vor über einem Jahrzehnt vor allem von den deutschen Autoherstellern entwickelt worden.
Mercedes erklärt, man setze „auf genormte Ladestandards, um ein erstklassiges Ladeerlebnis“ zu ermöglichen. „Wir beschäftigen uns mit den weltweiten Entwicklungen zur Ladetechnik. Die technische Umsetzung des NACS sowie den resultierenden Kundennutzen prüfen und bewerten wir.“
Anders gelagert ist die Situation in Europa. Teslas Supercharger sind hier breit verfügbar, einzelne Stationen bereits für Autos der Konkurrenz geöffnet. Der Ladestandard ist hier CCS, was auch mit dem Stromnetz in Europa zusammenhängt. Alle V3 genannten Tesla-Supercharger in Europa verfügen über eine CCS-Einkabeltechnologie, die mit jedem ab Mai 2019 produzierten Model 3, Model Y und Model S oder Model X kompatibel ist.
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In the USA, the charging network is likely to be significantly expanded in the coming years. Tailwind comes from Washington: The US government is funding the expansion of charging stations with 7.5 billion dollars.
Will increased use of superchargers be a challenge for Tesla?
In the future, the new partnerships will mean that more and more drivers will rely on Tesla’s charging service. However, Tesla is also facing an important challenge, according to car expert Koenig: “The big question is: Can Tesla continue to ensure a premium charging experience if its network will soon also be used by GM, Ford, Rivian and Volvo customers?”
According to Koenig, Musk urgently needs to prevent queues in front of the superchargers by expanding the network and using intelligent software. Otherwise, loyal Tesla customers risk being deterred.
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First publication: 06/29/2023, 04:29 a.m. (last updated on 06/29/2023, 11:44 p.m.).